Saubere Weste bei Auslandsgeschäften dank künstlicher IntelligenzKI hilft bei Auslandsexpansion und Compliance

9. November 2017

Deutschland ist Exportweltmeister: 2016 erwirtschaftete die Bundesrepublik einen Handelsüberschuss von knapp 300 Milliarden Dollar, so viel wie kein anderes Land der Welt. Doch aktuelle Entwicklungen in Weltpolitik und -wirtschaft könnten die Aussichten eintrüben: US-Präsident Trump will das Außenhandelsdefizit des Landes zurückfahren, der Brexit führt zu Unsicherheit in Europa und China sichert sich zunehmend Einfluss in aufstrebenden Märkten. Um ihre Position im Welthandel zu sichern, wollen laut einer Umfrage von Krolldiscovery 71 Prozent der deutschen Unternehmen neue Märkte erschließen. Wer vor dem Hintergrund einer enormen Vielzahl von Regularien und Gesetzen eine saubere Weste behalten möchte, der kann auf Möglichkeiten zurückgreifen, die die KI-Technologie (Künstliche Intelligenz) liefert.

Fülle an Regularien

Der erfolgreiche Schritt in ausländische Märkte ist mit Risiken verbunden: Denn Unternehmen, die grenzüberschreitend Geschäfte machen, müssen zahlreiche nationale, internationale und interne Regeln und Gesetze beachten. Jeder zweite befragte Unternehmensmitarbeiter fühlt sich durch diese Fülle an Regularien überfordert und hat keinen Überblick. Doch beim Punkt der Unkenntnis hört es nicht auf: Besorgniserregend hoch ist auch der Anteil an Mitarbeitern, die angeben, bewusst gegen Regeln und Gesetze zu verstoßen, um Geschäftsbeziehungen zu pflegen und Abschlüsse zu sichern.

Mehr als die Hälfte findet es wichtig, sich an lokale Gegebenheiten anzupassen, auch wenn diese der Einhaltung des deutschen Gesetzes entgegenstehen. Mehr als ein Drittel sieht Schmiergelder und Gefälligkeiten als einen unverzichtbaren Teil der geschäftlichen Tätigkeit im Ausland an. Und zwei Drittel der Einkäufer verstößt zumindest gelegentlich gegen Ausschreibungsregeln, um sich mit Lieferanten gut zu stellen.

Solches Gebaren kann allerdings für global tätige Unternehmen zu großen Problemen führen, und das nicht nur vor Ort, sondern vor allem auch hierzulande. Die deutschen Korruptionsgesetze etwa gelten vielfach für Verstöße, die im Ausland begangen wurden. Auch das deutsche und europäische Kartellrecht knüpfen nicht an den Tatort, sondern die Auswirkungen –  etwa einer im Ausland verabredeten Gebiets- oder Preisabsprache – auf den europäischen Binnenmarkt an. Unangenehme Ermittlungen könnten folgen. Für Kartellabsprachen drohen Bußgelder von bis zu zehn Prozent des letztjährigen Konzernumsatzes.

Compliance-Management-System

Quelle: Krolldiscovery

Um sich dagegen zu schützen und Bußgelder wie auch Reputationsverluste zu vermeiden, sollten Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter im Ausland Gesetze und Regeln einhalten. Dazu gehört es, klare Regeln für Auslandsgeschäfte aufzustellen und sie allen Angestellten zu kommunizieren. Ein Compliance-Management-System und umfassende Schulungen von Mitarbeitern können dabei helfen. Denn Unwissen schützt vor Strafe nicht. Deswegen haben 79 Prozent der Unternehmen laut Umfrage Prozesse und Regeln für internationale Geschäftsbeziehungen definiert.

Allerdings kontrollieren gerade einmal 57 Prozent der Unternehmen, ob sich ihre Angestellten auch an die Vorschriften halten. Ohne Kontrolle sind die Regeln aber oft wirkungslos. Damit das nicht passiert, sollte Compliance gelebt werden. Dies kann nur geschehen, wenn sie in die Unternehmensstrategie integriert und bei der Festlegung von Zielen berücksichtigt wird.

Bei der Umsetzung der Kontrolle der Einhaltung können sogenannte Mock Dawn Raids unterstützen. Dawn Raids, also „Untersuchungen im Morgengrauen“ sind unangekündigte Durchsuchungen, die zum Beispiel bei Verdacht auf Verstoß gegen das Kartellrecht durch Beamte des Bundeskartellamts oder der Europäischen Kommission erfolgen. Mock Dawn Raids wiederum sind nachgestellte Durchsuchungen durch etwa vom Unternehmen beauftragte Dritte. Mithilfe dieser nachgestellten Razzien können der „Ernstfall“ geübt und Mitarbeiter für das Thema Compliance sensibilisiert werden.

Vor allem vor dem Hintergrund des Kronzeugenprogramms, der sogenannten „Bonusregelung“, des Bundeskartellamts sind Mock Dawn Raids eine attraktive Prüfungsmethode. Findet ein Unternehmen hierbei Hinweise auf Preisabsprachen, kann es selbst Anzeige erstatten und hat hohe Chancen, straffrei auszugehen. Denn die seit dem Jahr 2000 existierende Bonusregelung besagt, dass Geldbußen für Kartellteilnehmer, die durch ihre Kooperation dazu beitragen, ein Kartell aufzudecken, erlassen oder reduziert werden können. Inzwischen wird gut die Hälfte aller Kartellverfahren des Bundeskartellamtes durch Hinweise von Kronzeugen ausgelöst. Durch Mock Dawn Raids können sich Unternehmen also entsprechend auf Ermittlungsverfahren vorbereiten oder diesen zuvorkommen in Form einer strafbefreienden Selbstanzeige.

Eine konsequente Verankerung von Regeltreue in der Unternehmenskultur und -praxis in Kombination mit regelmäßigen Kontrollen und Sensibilisierungsmaßnahmen kann rechtliche Risiken im Auslandsgeschäft senken. Ganz ausschließen lassen sich diese trotzdem nicht. Fördert eine Compliance-Prüfung Verdachtsmomente zutage, sollten Unternehmen aber nicht den Kopf in den Sand stecken und hoffen, ungeschoren davon zu kommen. Vielmehr sollten sie sich aktiv einen Überblick über die Sachlage verschaffen, um darauf aufbauend ihre Handlungsoptionen zu prüfen. Wurde etwa gegen das Kartellrecht verstoßen, kann man eventuell die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen und Bußgelder vermeiden.

Kritischer Faktor Zeit

Dr. Stephan Waldheim, Counsel im Düsseldorfer Büro von Bird & Bird LLP. Quelle: Bird & Bird LLP
Helmut Sauro, Senior Manager Business Development im deutschen Büro von KrollDiscovery. Quelle: Krolldiscovery

In diesem Fall ist es wichtig, einerseits umfassend an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und andererseits schnell zu handeln. Denn nur der erste Kartell-Beteiligte, der sich den Behörden stellt, kann mit Straffreiheit rechnen. Andere Unternehmen können allenfalls noch mitziehen und durch Kooperation ihre Bußgelder mindern. Diese können mehrere Milliarden Euro betragen, es geht also um sehr viel Geld. Um sich in diesem Wettlauf eine gute Position zu sichern, kommen Unternehmen um digitale Hilfsmittel nicht herum.

Je nach Dauer und Umfang der unerlaubten Absprachen können enorme Datenmengen anfallen, die nach Hinweisen und Informationen zu sichten sind. Selbst mit großen Teams an Juristen kann eine Untersuchung Monate in Anspruch nehmen. Eine sogenannte Ediscovery kann den Review-Prozess signifikant beschleunigen, die Aufwände berechenbarer machen und zudem die Qualität der Ergebnisse verbessern. Hierbei werden Daten mithilfe von Technologie gefiltert und gesichtet – man spricht daher auch von Technology Assisted Review. Ein wesentlicher Baustein dieser Methode ist die Nutzung künstlicher Intelligenz, also von Software, die vom Menschen lernt und ihn aktiv bei der Dokumentenprüfung unterstützt.

Sind alle zu durchsuchenden Daten gesammelt, werden sie zunächst für das Review aufbereitet, indem zum Beispiel Duplikate eliminiert oder Dokumente nach Datum und Stichworten eingegrenzt werden. Nach dem Upload in ein Dokumenten-Sichtungs-Tool (Document Review Tool) wie ediscovery.com oder Relativity beginnt dann die eigentliche Sichtung, ebenfalls unterstützt durch künstliche Intelligenz.

Diese ist in der Lage, auf Basis der von den Sichtungs-Beauftragten (Reviewern), die als relevant eingestuften Dokumente selbst zu erkennen, und auch zu bestimmen, welche weiteren Dokumente ebenfalls als relevant einzuordnen sind. Diese werden dann an den Anfang der Untersuchung gestellt. Dadurch werden kritische Hinweise schneller gefunden und die Untersuchung erheblich beschleunigt. Zudem ergibt sich so früh ein eindeutigeres Bild, wie viele Datensätze tatsächlich zu bearbeiten sind und mit welchem Zeit- und Kostenaufwand dafür zu rechnen ist.

Damit der Algorithmus die richtigen Ergebnisse liefert, kommen zwei Methoden zum Einsatz. Auf der einen Seite „beobachtet“ die Software das Vorgehen und die Dokumentenauswahl der Projektjuristen und erkennt die zugrundeliegenden Muster. Dies läuft automatisiert im Hintergrund ab und liefert nach wenigen Stunden schon Vorschläge für relevante Dokumente. Zusätzlich nutzen mit der Untersuchung besonders vertraute Experten künstliche Intelligenz für präzise Prognosen zu den erforderlichen personellen Ressourcen und zur Dauer einer Dokumentensichtung sowie für eine umfassende Qualitätskontrolle. Im Gegensatz zu Menschen ist künstliche Intelligenz rund um die Uhr einsatzbereit und deutlich fehlerresistenter – auch unter Zeitdruck und Überlastung arbeitet sie hocheffizient. So kann das „Risiko Mensch“ bei Compliance umgangen werden.

Helmut Sauro

ist Senior Manager Business Development im deutschen Büro von KrolLDiscovery in Böblingen. Er unterstützt Kunden bei der Nutzung von Ediscovery-Technologien im Rahmen von internen Untersuchungen und Compliance Audits, bei Ermittlungen von Wettbewerbsbehörden und in internationalen Gerichtsverfahren.

Dr. Stephan Waldheim

ist Counsel im Düsseldorfer Büro von Bird & Bird LLP und Mitglied der Compliance-Gruppe der Kanzlei in Deutschland. Zuvor war er als Compliance-Officer in einem großen deutschen Industrieunternehmen tätig. Seine Praxis umfasst alle Aspekte des deutschen und europäischen Kartellrechts, mit Schwerpunkten in der Automobilwirtschaft sowie im Bereich Consumer Electronics.

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